Ort: Cheltenham, Gloucestershire, England Zeit: 1882 - 1889 Berichterstatterin: Miss Rose Morton (Pseudonym)
Im April 1882 zog die Familie Morton in ein Mietshaus in Cheltenham. Das 1860 gebaute Haus war ein für seine Zeit typisches Gebäude, gerade gross genug für die Familie, die aus Hauptmann Morton und seiner kränklichen Frau, den Töchtern Rose (19), Edith (18), zwei weiteren Mädchen von 15 und 13 Jahren und zwei Söhnen bestand. Von den Letztgenannten war der eine 16 und als Internatsschüler kaum zu Hause, der andere, William, war erst 6 Jahre alt.
Rose, ein wissenschaftlich interessiertes Mädchen, das später Medizin studierte, legte einen detaillierten Bericht über ihre Erlebnisse vor. Etwa sechs Wochen nach dem Einzug in das Haus sah sie eines Nachts eine Erscheinung: eine grosse Dame in einem schwarzen Kleid aus Wollstoff, die oben am Treppenabsatz stand und dann herunterkam. Das Gesicht der Gestalt war hinter einem Taschentuch verborgen, welches sie in der rechten Hand hielt. "Das ganze machte den Eindruck einer Dame in Trauerkleidung. Sie hatte keine Haube auf dem Kopf, doch die alles beherrschende Schwärze ließ auf eine Kappe mit langem Schleier oder ein Kopftuch schliessen."
Im Laufe der folgenden zwei Jahre sah Rose die Gestalt etwa ein halbes Dutzend Mal, sagte aber niemandem in der Familie etwas davon - lediglich einer Freundin berichtete sie in Briefen darüber. Während des Sommers kam ihre verheiratete ältere Schwester zu Besuch, auch sie sah die Gestalt einmal. Im Herbst 1883 beobachteten der kleine William und sein Freund die Gestalt durchs Fenster im Wohnzimmer. "Sie liefen hinein, um nachzuschauen, wer da so bitterlich weinte."
Nachdem sie sie erstmals gesehen hatte, folgte Rose der Erscheinung ins Wohnzimmer, wo sie eine Zeit lang am Fenster stehen blieb, ehe sie über den Gartenpfad zum Tor ging und dann verschwand. Rose versuchte, die Gestalt anzusprechen und auch, sie zu berühren, doch sie entwischte ihr immer.
Die einzigen Laute, die sie hörte, waren Schritte. "Sehr leicht, kaum hörbar, höchstens auf dem Linoleum, und dann wie die einer Person, die sanft mit ihren leichten Stiefeln auftritt." Im Mai und Juni 1884 spannte sie dünne Fäden über die Treppenstufen und beobachtete, wie die Gestalt einfach durch sie hindurch ging.
Im Juli und August desselben Jahres nahmen die Erscheinungen zu und am 2. August wurden die Schritte von den drei jüngeren Schwestern und der Köchin gehört. Die Köchin gab dann zu Protokoll, die Gestalt schon zweimal gesehen zu haben, "eine Dame in Witwenkleidung, gross und schlank, das Gesicht in einem Taschentuch verborgen, das sie in ihrer rechten Hand hält".
Erst am 5. August informierte Rose ihren Vater, der "sehr erstaunt" war. Am nächsten Tag erkundigte sich ein Nachbar nach der Dame, die er weinend im Obstgarten hatte stehen sehen, und ein oder zwei Tage später notierte Rose: "Während ich durch den Garten zum Obstgarten lief, sah ich die Gestalt durch den Obstgarten zum Fahrweg vor dem Haus gehen. Sie schritt durch die offene Seitentür in den Flur und von dort ins Wohnzimmer, ich folgte ihr. Sie nahm ihren üblichen Platz am Erkerfenster hinter der Couch ein. Mein Vater kam bald darauf ins Zimmer und ich bedeutete ihm, dass sie da sei. Er konnte die Gestalt nicht sehen, ging aber zu der Stelle, an der ich sie stehen sah. Da ging sie rasch um ihn herum, durchquerte das Zimmer, ging durch die Tür in den Flur und verschwand, wie üblich, beim Gartentor. Wir beide folgten ihr. Wir schauten in den Garten, wobei wir erst das Tor aufschliessen mussten, denn mein Vater hatte es beim Hereinkommen abgeschlossen, doch wir sahen nichts mehr von ihr."
Am Abend des 12. August sahen Rose und ihre Schwester Edith gemeinsam die Erscheinung etwa 10 Minuten lang, ein paar Minuten später berichteten auch die verheiratete und eine jüngere Schwester, sie gesehen zu haben. Zwei Tage später sah das Stubenmädchen sie im vollen Licht des sonnigen Morgens im Esszimmer. Während dieser Zeit wurden die Schritte oft in der Nacht gehört, von der Familie ebenso wie von der Dienerschaft und von Gästen, "insgesamt etwa 20 Leute, von denen viele vorher nichts von der Erscheinung oder den Geräuschen gesagt bekommen hatten".
Während des Herbstes 1884 und im Jahr 1885 hörte man auch anderen Lärm, der langsam immer mehr zunahm. "Andere Schritte waren jetzt zu hören. Schwer und unregelmässig, konstant wiederkehrend, hielten sie einen Grossteil der Nacht an, oft drei- oder viermal pro Woche." Während des Sommers 1885 hörte man auf dem oberen Treppenabsatz lautes Gepolter. Nachdem man Frederic Myers von der neugegründeten Society of Psychical Research um Rat fragte, hielt Rose eine Kamera schussbereit, doch bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen sie sie hätte einsetzen können, waren die Lichtverhältnisse für eine Fotografie zu schlecht.
"Während der Jahre 1887 und 1888 wurde die Gestalt nur sehr selten gesehen, doch die Schritte waren zu hören; die lauteren Geräusche hatten langsam aufgehört. Von 1889 bis heute (1892) wurde sie Gestalt, so weit ich weiss, überhaupt nicht gesehen, die leichten Schritte hielten noch länger an, doch auch sie haben jetzt aufgehört. Bei ihren letzten Auftritten war die Gestalt immer unkörperlicher geworden. Bis etwa 1886 war sie so massiv und lebensecht, dass man sie oft mit echten Personen verwechselte ... Zu allen Zeiten aber blockierte sie das Licht ... Der obere Teil der Gestalt hinterließ immer einen deutlicheren Eindruck als der untere, aber das mag damit zusammenzuhängen, dass man den Menschen üblicherweise ins Gesicht und nicht auf die Füsse schaut."